Hauptsache nicht mit dem Flugzeug

Der Sommerurlaub ist da, das Flugzeug keine Option mehr. Drei Helden des Alltags verweigern sich dem Fliegen restlos.

Gelinde von Schöning wohnt in einer Eigentumswohnung im Prenzlauer Berg. Erst kürzlich hat sie eine 82-jährige Langmieterin wegen Eigenbedarf aus der Wohnung geschmissen. In ihrer Zweitwohnung in Neukölln wohnt Gerlindes Katze. Fliegen sei für sie gar kein Thema mehr, seit das Thema Flugshaming in aller Munde ist. „Für mich ist jeder, der in einen Flieger steigt, ein Mörder!“, sagt Gerlinde, die erst vor Kurzem aus Bali zurückgekommen ist und seitdem keinen Flieger mehr bestiegen hat. Damit, so Schöning, befinde sie sich in guter Gesellschaft. „Meine Vorfahren aus Sachsen sind im Jahre 1434 schon nicht geflogen“, erklärt Gerlinde auf Nachfrage. Das habe sich über mehrere Jahrhunderte hingezogen. Kein einziges Flugticket sei ihr in ihrer Recherche um die Familiengeschichte untergekommen. Nur ab dem 20. Jahrhundert gebe es da einen blinden Fleck. Über den will sie nicht reden, dazu habe sie außerdem kaum Nachweise gefunden. Ansonsten ist Schöning stolz aus einer „moralisch einwandfreien Familie“ zu stammen, so die Ur-Enkelin eines um 1945 nach Chile ausgewanderten Funktionärs. „Ich fliege erst, wenn man mich zwingt“, gibt Gerlinde Schöning gerne nach. „Wegen eines Gewinnspiels zum Beispiel, oder wenn ein interessanter Yoga-Kurs in einem ayurvedischen Center in Malaysia angeboten wird.“

Elfriede Selig sitzt alleine in ihrem abgedunkelten Wohnzimmer, ihren Namen hat die Redaktion geändert. Eigentlich heißt sie Elfriede Schröder. Für sie ist das Fliegen ein heikles Thema. Normalerweise würde sie gerne in das allgemeine Flugshaming mit einstimmen, aber sie kann nicht. „Mir fällt es schwer darüber zu sprechen“, räuspert sich Selig. Aufgrund einer schweren Krankheit müsse sie mehrere Male im Jahr in eine europäische Großstadt fliegen. Mit zitternden Händen zeigt sie das Attest. „Ich leide unter einer bipolaren Burnout-Depression mit schizoiden Angststörungs-Symptomen“, gibt Selig zu. „Deswegen bin ich auch zum Fliegen verdammt.“ Sie fände es ja selber nicht angenehm, jeden Monat eine neue europäische Großstadt zu besuchen. Aber jemand der so schwer erkrankt sei, könne sich sein Schicksal nicht aussuchen. „Es ist nicht einfach, die bedeutendsten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte zu bestaunen, während andere für das Klima kämpfen“, so Selig. Der Zug sei für sie trotzdem keine Option. „Ey weißt du wie anstrengend das ist, jeden Monat 20 Stunden im Zug zu sitzen??“, wird Selig plötzlich ungehalten. Dann entschuldigt sie sich, noch sei alles ganz frisch.

Stolz schaut Harald Martenstuhl auf seinen Garten. Den pflegt er seit über 40 Jahren, seither hat er nicht ein einziges Mal seine Heimatstadt Duisburg verlassen. „Ich muss nirgendwo hin“, propagiert er stolz. Und: Wer in den Flieger steigt, sei selber schuld. Deutschland, das sei ein schönes Land, immerhin sein Vaterland. Hier haben seine Vorfahren im Graben gelegen, hier hatten die alten Germanen alles Nötige in die Wege geleitet, um Deutschland zu einem besonders schönen Urlaubsland zu machen. Warum man woanders in den Urlaub fahren müsse, um seinen Horizont zu erweitern, begreife er nicht. „Hier gibt es doch alles, was ich brauche.“ Martenstuhl schaut sehnsüchtig zu seinen Gänseblümchen, die sich Richtung Sonne neigen. Wenn den 68-jährigen Rentner doch einmal die Sehnsucht packt, geht er zum örtlichen Flüchtlingsheim. Er arbeitet dort als Freiwilliger. Freiwillig beschimpft er das „schwarze Gesindel“, das sich da „herumtreibt“. Die Arbeit am Flüchtlingsheim würde ihn erden und genau die Prise Rassismus in ihm wecken, die es brauche, um nicht doch spontan in ein Flugzeug nach Syrien zu steigen. Positiv sehe er, dass die meisten Migranten per Schlauchboot nach Europa kämen. „Hauptsache nicht mit dem Flugzeug.“

1 Kommentar zu „Hauptsache nicht mit dem Flugzeug

  1. Und was will uns diese Glosse sagen?
    Dass die überzeugten Nicht-Flieger in Wirklichkeit entweder dekadent und ausbeuterisch oder nicht ganz richtig im Kopf oder dass alle (Alt) Achtundsechziger Ausländer-Hasser sind? Und dass man deshalb getrost auch weiterhin viel fliegen sollte?
    Eine ebenso alberne wie gefährliche Message!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert