Das Buch ist tot – es lebe die Literatur

Es ist schon ein sonderbares Zeichen einer Literaturindustrie, das sie gleichzeitig Neues erschaffen will, aber dafür die immer gleichen Schubladen öffnet, damit jedes neue Talent darin Platz nehmen kann, um den Umhang der eigenen stilistischen Individualität abzustreifen. Denn alles, was auf dem Buchmarkt erscheint, hat die eigene Stimme längst verloren und jede Autorin, die bei Agenturen – unverlangt eingesandte Manuskripte werden schon lange nicht mehr bei Verlagen gelesen – vorstellig wird, weiß genau, welche Floskeln sie benutzen muss, um zunächst einmal gesehen zu werden. Alles das, um bloß keine neuen Schubladen zu öffnen, um den Leserinnen bloß keine neuen Denkweisen zu eröffnen; das Altbekannte verkauft sich meist am besten.

Der große Branchenbringer ist das Sachbuch. Mit einem 5,5 % Umsatzplus im Jahre 2018 alleine muss uns allen nun bewusst sein, wohin die Reise geht. In den Abgrund der Simplifikation von komplexem Wissen hin zu kleinen, verträglichen Häppchen, die das große Ganze konsumierbar machen. Hat Barthes 1967 noch den Tod des Autors vorausgesagt, muss heute gelten: Der Autor, die Autorin bestimmt den Markt wie keine andere, lebendiger als alles andere, aber nicht mit echter Macht ausgestattet, sondern nur mit einer scheinbar individuellen Persönlichkeit, die vorher längst von Agentinnen und Lektorinnen zunichtegemacht wurde. Oder wie Adorno und Horkheimer 1944 schon attestierten: „Alle Verstöße gegen die Usancen des Metiers, die Orson Welles begeht, werden ihm verziehen, weil sie als berechnete Unarten die Geltung des Systems umso eifriger bekräftigen.“

Der Buchmarkt überschlägt sich derweil mit Trendthemen. Kaum ist der Feminismus am Zug, kaum der Klimawandel in aller Munde, schon wird der Buchmarkt bereits in der nächsten Saison mit Titeln dieser Art, es liegt in der Ironie der Sache, überschwemmt. Es kann eins noch dümmer als das andere sein, was hier erscheint, eins noch unfundierter, als das andere: Wenn das Thema läuft, dann laufen alle mit und können sich an ihrer eigenen Formbarkeit nicht mehr sattsehen; wieder haben sie der Kunst ein Schnippchen geschlagen, wieder hat die Industrie gesiegt und die Literatur musste den Ring verlassen. Kaum eine Persönlichkeit, die im Internet gehypt wird, die nicht spätestens ein halbes Jahr später mit einem Nonsensthema auf dem Buchmarkt erscheint. Jeder, der in den Medien auftritt, wird schon bald in den Bücherregalen stehen und uns den Ruhm nahbarer machen.

Eine der Verliererinnen ist dabei die Literaturkritik, die sich systematisch um ihre eigene Hegemonie gebracht hat, indem sie jedem Hype folgen musste, ohne dabei ihre ästhetischen Parameter aufrechtzuerhalten und zu schützen. Die Laienkritik im Internet auf Amazon und lovelybooks.de, auf Instagram und Twitter hat die professionelle längst überholt – zumindest vom ökonomischen Standpunkt aus. Es ist egal, wie ästhetisch ein Werk gelungen ist, und ob von FAZ bis taz die Kritikerinnen ihre snobistische Nasen bei der Lektüre müde rümpfen, wichtig ist heute alleine was die Userinnen zu sagen haben: Den Lauf der Zeit erkennt die professionelle Literaturkritik schon lange nicht mehr an – und sie ist selbst schuld daran.

Währenddessen können die, die Buchprodukte wie in einer Fabrikhalle für Verlage nurmehr nur noch herstellen, nicht einmal davon leben, wenn sie sich gleichwohl so vehement verkaufen müssen. Kaum eine Marge von 10% wird in den Verträgen überschritten, hohe Vorschüssen winken nur denen, die längst ihren eigenen Stil aufgegeben haben und sich mit dem Müll, der den Konsumentinnen als Kunst verkauft werden, identifiziert haben. Der Ruhm, der diesen armen Seelen winkt, kann ihnen dann nicht mal den Kauf einer Wohnung gewährleisten, kaum eine Autorin oder ein Autor, der vom Beruf leben kann, was von den Verlagen wiederum dadurch begründet wird, dass es ja schon immer so war, und folglich auch immer so bleiben muss. Als Totschlagargument dient seit jeher die eigene Wirtschaftlichkeit. Es müssen Mitarbeiterinnen durchgefüttert werden bei den großen Publikumsverlagen; Mieten bezahlt, Bestseller gefunden werden, um diese möglichst gewinnbringend zu verkaufen, um damit die kleinen Liebhaberprojekte zu finanzieren. Die Wahrheit ist: Schaut man auf die großen Publikumsverlage rotten sie Ihre eigenen Liebhaberprojekte Jahr für Jahr zunehmend aus, sie marginalisieren sich selbst und reduzieren sich um ihre eigene Progressivität. Schon jetzt: ein Cover knalliger als das nächste, ein Klappentext idiotischer als der andere. Eine Influencerin mehr auf dem Buchmarkt und eine Autorin weniger, die davon leben kann.

Wer die Literatur liebt, der kann nicht eins mit der Frankfurter Buchmesse sein. Echte Literatur, echte Literatinnen werden auf Lesungen in die letzte Ecke der Hallen versetzt, während die, die es zu Erfolg, aber nicht zu handwerklichen und stilistischem Können geschafft haben, bei FAZ und Süddeutsche sitzen und von einem wachsenden Publikum angegafft werden, weil diese Autorinnen und Autoren ihnen das Bild vermitteln, DAS sei jetzt die Literatur, Literatur sei so greifbar und so nahbar, wie der nächste Instagramstar, so einfach und doch so bürgerlich. Nichts in den Hallen, was wehtut, was marginalisierte Stimmen wirklich sprechen lässt, und wenn doch, dann können wir sicher sein, dass es schon bald eine eigene Programmsparte dafür geben wird, die sich selbst vernichtet.

Jedes Jahr wird das Theater scheinbar uraufgeführt, wenn der Buchmarkt sich schon lange auf seiner eigenen Backlist abspielt. Die, die bereits das 12 Manuskript anfangen, aber keinen Verlag finden, weil das Thema gerade nicht passt; diejenigen, die handwerklich begabt sind, aber nicht in einer Talkshow sitzen wollen: Die repräsentieren die Literatur wie niemand sonst. Da spielt sich etwas im Dunkeln ab, wovon die hell erleuchtenden Hallen auf der Buchmesse nur träumen können. Ja, die feuchtesten Träume der Agentinnen, Lektorinnen und Verlegerinnen handeln davon, das nächste Talent zu entdecken, nur um dieses wieder der Reproduzierbarkeit zuzuführen und alles an Einzigartigkeit daran zu zertrümmern. Die letzte Rebellion? Für sich zu schreiben, bei sich zu bleiben, den Triumph der Bücher produzierenden Fabrikhallen zu ertragen und auf die große Revolution zu warten. Zehntausende von unentdeckten Literatinnen werden zugrunde gehen, ohne je veröffentlicht zu haben.

3 Kommentare zu „Das Buch ist tot – es lebe die Literatur

  1. Liebe Laura,
    Wie nicht anders zu erwarten wieder einmal mehr bewiesen wie Recht du hast, traurige Kehrseite einer Medaille die niemand anderes als dir zu überreichen es gälte.
    Mit Hochachtung und Respekt hoffe ich, dass du nicht aufgibst, bis es auch der Letzte verstanden hat ,wenngleich es im Moment eher aussichtslos erscheint, Blicke ich doch positiv in (d)eine Generation die sich nicht kampflos der allgemeinen Modetrend Routine auf dem Buch markt unterwerfen will.

  2. Das Buch ist tot. Das Ende von Gensfleisch! Dafuer haben wir die Autorenschwemme. Jeder kann ein Buch bei Amazon haben! Das ist doch toll… Naja, vielleicht doch nicht so ganz. Vielleicht doch nicht so ganz? Inhalte etc. Inhalte spielen keine Rolle mehr. (Inhalte waren schon immer unerwuenscht.) Alle sind heute Autoren! Damit muss man sich abfinden! Jeder Idiot ist berufen. Naja, egal. Auch die Philosophen sterben aus. Die Kuenstliche Intelligenz macht ja die gesamte Menschheit ueberfluessig.

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