War früher wirklich alles besser? Ein kurzer Blick in die Buchhandlungen belehrt uns einer traurigen Wahrheit. Inhaltliches spielt kaum mehr eine Rolle, nur knallige Cover, steile Thesen und literarisch unbegabte Influencerinnen bestimmen jetzt den Markt. Die große Verliererin ist die Literatur selbst – und alle, die sich ihr fälschlicherweise verschrieben haben.
Wer jetzt noch schreibt, ist selber schuld. Nichts wird auf dem populären Markt gefördert, dass sich ein wenig fernab des Mainstreams bewegt; nichts mehr, was nicht mit einer bombastischen Idee beginnt und in großen, aber luftleeren Verkaufszahlen endet. Die Bewegung L’art pour l’art ist endgültig gestorben, zumindest so, wie wir sie aus dem Frankreich des 18. Jahrhundert kennen. Das war zwar auf lange Sicht zu erwarten, aber das Internet hat diese Entwicklung drastisch beschleunigt.
Vorbei die Zeiten, in denen man noch ein raues Textwunder in den Bücherregalen sah, aus dem etwas hätte werden können. Heute sind diese ungeschliffenen Diamanten schneller abgeschrieben als eine schlecht laufende Staffel bei Netflix. Wo folgen wir denn noch der Entwicklung eines Künstlers vor den mitlesenden Augen der Leserinnen? Wer will sich diesem wirtschaftlichen Wahnsinn eines unverkäuflichen Genies hingeben? Dabei horten die großen Publikumsverlage das Kapital dafür. Kleine Verlage tun alles, um die Literatur zu retten. Sie alleine sind zu schwach.
Publikumsverlage sind viel zu sehr damit beschäftigt, nach der nächsten großen Idee, der nächsten großen „Persönlichkeit“ zu suchen, die eigentlich keine ist, weil sie sich im Rahmen der Vorzeigbarkeit wähnt. Dass gute Literatur stets einer exzentrisch gearteten Persönlichkeit folgt? Dieser Grundsatz ist gestorben. Exzentrik ist überhaupt nicht mehr gefragt, nur in den strengen Parametern des „Anderssein“ ist Platz für die neuen angepasst unangepassten Schriftstellerinnen. Überhaupt der Beruf Schriftstellerin! Ist man nicht immer gleich Marketingexpertin, Influencerin, Social Media Beauftragte zugleich? Ist das neue künstlerische Selbst nicht so durchorganisiert, dass jeder individuelle Atemzug auf dem Blatt im Keim erstickt würde? Schriftstellerinnen sind nicht mehr ausschließlich damit beschäftigt aufs Papier zu bringen, was sie berührt. Authentische Kunst hat selten Backlist-Wert.
Derweil steigen jährlich die Umsatzzahlen im Segment populäres Sachbuch – und die Leute werden trotzdem immer dümmer. Letztlich werden auch vielversprechende Autorinnen in diese Sparte hineingezogen, auch wenn sie einst von der großen Literatur träumten, und jetzt nicht mehr wissen, wo sie hingehören. Weil Verlage einfach alles dafür tun, Ideen in Produkte zu verwandeln und nichts, um eigene Stimmen zu fördern.
In den Agenturen werden laufend initiative Mails an Influencerinnen rausgehauen, die mit großen Followerinnenzahlen auffahren. Ob man nicht schon mal daran gedacht habe, ein Buch zu schreiben? Natürlich, wer hat denn nicht daran gedacht in dieser Welt! Aber wer es bis jetzt nicht gemacht hat, während er diese Zeilen liest, der ist nur ein elender Simulant, eine Schriftstellerin schon gar nicht – und doch: diese Menschen zieren die Cover unserer Zeit. Denn zu eng beschrieben sind die Seiten des heutigen Marktes. Zu eng geplant die Programme der großen Verlage. Fehltritte werden ausgemerzt, indem man Leute einkauft, die selbst genug Käuferinnen mitbringen. Ob diese schreiben können, ist nicht wichtig. Naiv bleibt diejenige, die meint, auf dem großen Buchmarkt gehe es um Literatur. Denn auf dem Markt geht es um nichts mehr und damit paradoxerweise um alles: um den Darm, den sexuellen Fetisch, um kitschige Familiengeschichten und den großen Herzschmerz. Die Literatur ist endgültig verkauft worden und wir haben alle dabei zugesehen.
Was wird von uns bleiben? Was wird der Buchmarkt über uns in 100 Jahren aussagen? Trostlos ist das Zeugnis, das unsere Bücherregale, die immer auch ein Abbild der Gesellschaft abgeben, über uns zeigen. Niemand mehr, der unvermittelt auf den Seiten zu uns sprechen darf. Der eine kleine Geschichte zu einem großen Universum formt; nie gelesen und gehört, weil er nicht rechtzeitig bei Instagram war. Überall in zweiter Reihe diese verlorenen Seelen, die sich das Herz aus dem Leib schreiben, die etwas sagen wollen, etwas ändern, aber die auf ihren Blogs, in den kleinen Verlagen hoffnungslos untergehen. Wie viele große Autorinnen hat diese Generation verloren? Wie viele Stimmen bleiben für immer ungehört? Ja: Wie viele Künstlerinnen hat dieser Markt letztlich auf dem Gewissen? Alles hat sich auf diesem Buchmarkt durchgesetzt. Einfach alles. Auf der Strecke bleibt alleine die Qualität.